Man sagt, beim Fliegen kommt die Seele nicht hinterher. So in etwa fühle ich mich, obwohl es auch dem Schlafmangel geschuldet sein mag. Ohne wirklich zusammenhängend vorgeschlafen zu haben, begann meine Reise gen Norden, um zwei Uhr in der Früh. Durch drei Kilo ayurvedische Medizin und Massageöl ist mein Gepäck hoffnungslos über dem Limit, aber wie erwartet pfeift man in Indien auf die meisten Regeln und ich werde durchgewunken. Es stellt sich auf der Reise schnell heraus, dass es im echten Indien eine Herausforderung ist, sich seinem Doscha entsprechend, oder überhaupt gesund, zu ernähren. Ein Fauxpas nach dem anderen erfordert einen beherzten Schluck aus dem Iberogastfläschchen und innerhalb kürzester Zeit hat man das Gefühl den Behandlungseffekt schon ganz gut geschmälert zu haben. Ich bin tatsächlich etwas dünnhäutig und der Magen möchte seine ungewürzte, fettarme Schonkost zurück und indisches street life kann mir gerade auch echt gestohlen bleiben. Schlaftrunken habe ich in Delhi fast meinen Flug verpasst, weil ich ins falsche Flugzeug einsteigen wollte, was ich durch einen schmerzhaften Sprint noch abwenden konnte.
Nichtsdestoweniger bin ich nach 14 Stunden in Chandigarh, der Hauptstadt des Staates Punjab angekommen. Auf der Suche nach einem Tuk Tuk trat ich aus dem Flughafenhalle und die nur 23 Grad kühle Luft erschien mir, trotz der schlechten Luftqualität in Indiens Norden, wie eine Frischzellenkur. Über desolate Straßen ging es zunächst durch die ärmlichen Stadtrandgebiete. Wir passieren Behausungen, wo man fast nicht unterscheiden konnte, ob dort nun die klapprigen Wasserbüffel oder die Menschen wohnen. Der Mist wird in der Sonne getrocknet, um ihn als Brennmaterial zu nutzen und die Straßenränder sind mit Müll übersät. Die Religion der Sikhs scheint hier vorzuherrschen, was man an den vielen Turban tragenden Männern erkennen kann.
Schließlich kurven wir planlos durch die Autovorstadt, vorbei an Autoleichen und auf gestapelten Reifen aufgebockte Karren, die gerade ausgeschlachtet werden. Ein Fahrradrikschafahrer balanciert mehr als zwanzig Reifen auf seinem Gefährt durch den nervenaufreibenden Verkehr. Zufällig finden wir dann viele Minuten später meine Herberge, ein 1A Rattenloch würde ich sagen, dass sich einwandfrei in die „idyllische“ Nachbarschaft einfügt.
Die brandlochgeschmückte Pritsche dominiert das Zimmer. Die Schaumstoffschicht darauf verdient den Namen Matratze nicht. Das Bett ist gemacht, aber ganz sicher nicht neu bezogen. Essensreste liegen auf dem staubigen Beistelltischchen und eine olle Zeitung liegt neben dem Bett auf dem Boden. Ich hätte es nicht gedacht, aber ich freue mich, dass die einzige Möglichkeit der Weiterreise ein Übernachtbus ist und ich hier nicht übernachten muss. Solange ich ohne Ungezieferbisse aus der Nummer rauskomme, bin ich bereit, das alles hinzunehmen und mich so gut es geht auszuruhen vom ersten Teil der Reise.
Für Indien nicht ungewöhnlich startet der Bus an einer Tankstelle ohne Anzeigetafeln oder Personal der Busgesellschaften. Mit ein, zwei Stunden Verspätung trudeln dann aber Massen dieser semi-sleeper Busse für Fernreisen ein. Als einzige alleinreisende Frau war ich eine begehrte Gesprächspartnerin und wurde von der dreistündigen frostigen Wartezeit ganz gut abgelenkt. Ein 21-jähriger IT-Student wich nicht von meiner Seite und kümmerte sich rührend um meine Belange. Er rief sogar bei meinem Fahrer an, um die tatsächliche Verspätung herauszubekommen. Mit dem Rat „thats india. Shanti, shanti„ ist einem ganz gut geholfen. Der Fernverkehr ist chronisch unpünktlich, aber man kann sich ziemlich sicher sein, dass es klappt und hilfsbereite Inder einem zur Seite stehen.
Eine Wohltat war es dann in den warmen Bus zu kommen und sich in eine Decke kuscheln zu können. Trotz eines Inders, der versuchte im Schlaf den gesamten indischen Regenwald abzuholzen, schlief ich ein paar Stunden und als ich erwachte, ging es bereits langsam vom Flachland in die Berge. Wir schraubten uns über steile Serpentinen immer weiter in die Höhe, vorbei an einem Mischwald aus Nadelbäumen, Bambus und allerlei anderem Gehölz. An der Endhaltestelle Mcleodganj, in der eine der Residenzen des Dalai Lama beheimatet ist, trete ich in einen kühlen Morgen und suche mir erst mal ein schönes Plätzchen für ein Frühstück im Sonnenschein vor dem beeindruckenden Bergpanorama.
Weihnachten vor 12 Jahren war ich bereits schon einmal hier und freue mich auf das tibetische Flair und die bunten Häuser, die sich an die bewaldeten Berghänge schmiegen.
Mein Yogazentrum liegt in Bhagsu, was einmal das nächste Dorf gewesen sein mag, jetzt aber zahlreiche Hotels beheimatet. Der Bauboom an steilen Hängen wird, mit Baumaterial beladenen Lastenpferden bewerkstelligt, die schicksalsergeben bergauf und -ab trotten.
Das Zentrum ist nur zu Fuß zu erreichen und macht einen recht simplen Eindruck, aber der Empfang ist herzlich. Ich bekomme nach kleinen Verhandlungen ein helles Zimmer, dass nicht ausschließlich auf die nächste Baustelle ausgerichtet ist und abgesehen, dass es noch ordentlich kalt hier ist, bin ich zunächst zufrieden.
Es ist der Anfang der Saison und kleine Baumaßnahmen und etwas Chaos stören nicht weiter und ich genieße es an einer weiteren ruhigen Oase, im manchmal so überfordernden Indien, angekommen zu sein. Unser Lehrgang besteht außer mir aus nur zwei weiteren Schülerinnen. Amanda aus Brasilien und Julia aus Kirgistan.
Aber man sieht einmal wieder, wie widersinnig es ist, sich zu viele Gedanken über die Zukunft zu machen, die dann mit ziemlicher Sicherheit völlig anders eintritt.
Heute jährt sich der tibetische Widerstand zum 60. Mal und es findet eine bunte Demonstration statt.
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